von Frauke Zabel
Neue Rituale
Silberschmied*innen gestalten traditionell Rituale aus. Silberschmiedearbeiten spielen als Inventar und Requisite eine tragende Rolle in religiösen Zeremonien. Liturgisches Gerät wie Kelch und
Hostienschale fehlen in keinem Abendmahl. Genauso definiert das Gerät der westlichen Tischkultur die Gepflogenheiten zu Tisch.
Die soziale Begegnung des gemeinsamen Essens wird in ihren Abläufen und Handlungen mittels Esswerkzeugen in vorgegebene, nicht selten elitäre Handlungsabläufe strukturiert. Welche Gabel ist für die Muscheln vorgesehen? Auf welchem Teller wird welche Speise serviert? Welche Messerform dient dem Streichen eines Butterbrotes oder dem Filetieren eines Fisches zu Tisch?
Diese unterschiedlichen Ansprüche an das Silberschmiedehandwerk sind Isabelle Enders, die nach ihrer Ausbildung jahrelang Erfahrungen und Fertigkeiten als Gesellin in einem traditionellen
Silberschmiedebetrieb sammelte, genuin vertraut. Die Ausgestaltung ritueller Handlungen in unterschiedlichen sozialen Situationen mittels Gerät ist somit in ihrem gestalterischen Ansatz tief
verankert. Anstatt jedoch rituelle Handlungen in ihren gleichbleibenden Abläufen mittels exklusiv gestalteten Geräts zu reproduzieren, werden diese von Isabelle Enders auf ihre einzelnen
Bestandteile untersucht und offengelegt. Selbstverständliche Handlungsabläufe
werden dabei durch gezielte Eingriffe in die Gestaltung abgewandelt. Die Dekonstruktion der festen Ordnung zu Tisch erreicht sie durch die Einführung von hochfunktionalem, handwerklich
perfektem, jedoch modifiziertem Gerät. Der Fokus der Auseinandersetzung liegt dabei bereits seit ihrem Gesellinnenstück auf der Pfeffermühle. Diese für Isabelle Enders scheinbar unbegrenzte
Spielart der Tischkultur, die sie technisch vollkommen durchdrungen hat, wird von ihr seit vielen Jahren in Dimensionierung und Materialität durchdekliniert.
Dabei erzeugen die von ihr gestalteten Pfeffermühlen immer wieder abweichende Vorschläge für Handlungsabläufe. ‚Kolibri‘ etwa ist so lang,
dass die Nutzer*innen weniger aufgefordert werden sich selbst Pfeffer zu nehmen, als vielmehr anderen zu geben. ‚unicorn‘ hingegen ist für genau ein Pfefferkorn gefertigt, das in einer
Vertiefung am oberen Drehteil abgelegt und von den Nutzer*innen ins Mahlwerk mittels eines kleinen Schafts eingeworfen wird. Diese Pfeffermühle aus Silber steht in dem scheinbar unerschöpflichen
Repertoire von Isabelle Enders ganz selbstverständlich der Mühle aus einem Papprohr, die in ihrer Dimensionierung nur zu zweit betätigt werden kann, gegenüber. Gerade anhand dieser
‚Pfeffermühle für zwei Personen‘ lässt sich die soziale Dimension der Arbeiten verdeutlichen. Sinnbild dieser Arbeit ist ein Foto, auf dem zwei Personen, die als Kantinenpersonal gelesen werden
können, zusammen ein ausgegebenes Tellergericht würzen. Dafür erklimmt die eine
einen Stuhl, um das Oberteil der Mühle zu drehen, während die andere versucht, mit dem unteren Ende der großen Pfeffermühle auf den Teller zu zielen und dabei die Mühle zu stabilisieren. Dem
einzelnen, individuellen Korn, das sich eine Person mithilfe der ‚unicorn‘-Pfeffermühle auf ihr Essen mahlt, stellt Enders symbolisch eine große, anonyme Menge Pfeffer und die Massenspeisung der
Kantine gegenüber.
Die performative Dimension dieser großen Pfeffermühle, die eine Zusammenarbeit und ein neues Ritual des Würzens erfordert, konterkariert humorvoll, aber auch auf liebevolle Weise die
Massenabfertigung wie auch Dimension
von Arbeit, die einer Kantine innewohnt.
Der forschende Blick, den Isabelle Enders auf soziale Begegnungen beim Essen richtet, zeigt sich auch in den unterschiedlichen Cafés und Bars, die sie in den letzten Jahren temporär in der Rolle
der Wirtin betrieb. Die ‚R.I.P. / Rest in Pieces-Bar‘ entstand 2014 anlässlich der Jahresausstellung an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg aus einer Analyse der Essgewohnheiten
während des Rock im Park-Festivals Nürnberg heraus. Aus den Hinterlassenschaften der Besucher*innen trug Enders an die hundert zurückgelassene und für die Entsorgung bestimmte Grillgeräte
zusammen, um sie zur Inneneinrichtung des temporären Cafés umzubauen. Neben Sitzgelegenheiten und Tischen entstanden skulpturale Formen zur Warenausgabe. Hier wurde, statt dem obligatorischen
Keks zum Espresso oder der Olive im Martini, jedem bestellten Getränk ein ungewöhnlicher Snack beigefügt. Die nicht vorgewarnten Barbesucher*innen bekamen mit ihrem Espresso so eine gegrillte
Hühnerkeule serviert, am Eiskaffee mit Schlagsahne hing ein ebenfalls gegrillter Hühnerschenkel und das Glas Wasser kam selbstverständlich mit einem getrockneten Fisch. Mit diesen
unterschiedlichen, abnagbaren Beigaben, mittels Mini-Fleischerhaken an den Getränken fixiert und auf Überresten von Einweggrills serviert, führt Isabelle Enders uns den Eventcharakter
zeitgenössischer Gastronomien humoristisch vor Augen.
Ein weiteres Beispiel ist die ebenfalls temporäre Bar ‚trans-it / take the next level‘. Diese Bar war nur 1,1 qm groß, da sie sich im Rahmen eines Performance Festivals 2019 in einem Aufzug
befand, der die Besucher*innen zwischen den Stockwerken und Veranstaltungen beförderte. Für die Bar entwickelte Isabelle Enders ein ausgeklügeltes Regal-Stecksystem, das über und unter dem
Handlauf des Fahrstuhls befestigt wurde und als selbstverständliche Raumgestaltung kaum Platz in Anspruch nahm. In dieser Shot-Bar konnten so die maximal
neun Personen im Fahrstuhl zu Barbesucher*innen werden. Aus fünf gesunden oder hochprozentigen Kurzgetränken konnten sie eins auswählen. Die rituelle Zubereitung eines Getränks durch
Barkeeper*innen in einer Bar wird auf den Transit-Moment von einem Stockwerk zum nächsten übertragen. Indem Isabelle Enders sich selbst und auch ihre ‚unicorn‘-Pfeffermühle – die bei der
Zubereitung des Getränks ‚Tomate Mozzarella Pfeffer‘ zum Einsatz kam – in diese performative Arbeit einschreibt, wird ihr erweitertes Verständnis silberschmiedischen
Arbeitens greifbar. Gerät wird hier genuin als Werkzeug verstanden, um soziale Begegnungen zu ermöglichen und zu gestalten. Mit diesen neuen Ritualen des Essens, Trinkens und Würzens bewegt
Isabelle Enders sich spielerisch in dem Spannungsfeld der luxuriösen Dimension gestalteten Geräts und seiner konventionellen Anwendung.
unicorn / Deutsches Goldschmiedehaus Hanau, Rank’sche Stiftung (2022)
Dolores / Grassimuseum Leipzig (2018)
Kolibri / Grassimuseum Leipzig (2015)
Pfefferlinge / Dannerstiftung Munich (2015)
Wellpapptrans / Die Neue Sammlung Munich (2009)
43 qm. heiße Luft / Luftmuseum Amberg (2008)
PfefferMarsch! / Die Neue Sammlung Munich (2007)
2023 Vasa Sacra Bergkirche Hohenfeld, concept and realisation
2021 Stadtgoldschmiedin Hanau
2018 Grassiprize
2016 Debutant Prize, Academy of fine Arts Nuremberg
2014 Dannerpreis
2013 Bavarian State Prize
2012-2016 studio grant Bavarian State
2010 Masterclass student
2010 Academy Award, Academy of Fine Arts Nuremberg
2010 Marianne-Brandt-Award „The poetry of the functional“
2009-2013 scholarship, Studienstiftung des Deutschen Volkes
2012-2014 Academy of Fine Arts Nuremberg, Art and public space, postgraduate programme
2006-2012 Academy of Fine Arts Nuremberg, Free Art/Gold- and Silversmithing
2003-2006 experience both in restoring and making traditional silverware, Stefan Epp, Island of Reichenau
2000-2003 apprenticeship in silversmithing, College for Glass and Jewellery,
Kaufbeuren-Neugablonz
2024 Delikatessen, Kunsthalle Nürnberg
2023 Lili Reich, Galerie Domu Norymberskiego Krakau
2023 werkschau, Goldschmiedehaus Hanau (solo exhibition)
2023 korn und schampuss, Kunstgalerie Fürth (solo exhibition)
2020 plotwise Kunstpavillon München
2019 schlafende hunde festival, Kunsthaus Nuremberg
2019 plotwise, Kunstpavillon Munich (soloexhibition)
2017 Debütantinnen 2017, Academy of fine Arts Nuremberg
2016/2017 handWerk, MAK Vienna
2015 Grassimesse, Grassimuseum, Leipzig
2014 Dannerprize, Schlossmuseum Aschaffenburg
2010 NN-Artprize, KunsthausNurembergand Musée des Beaux Arts, Nizza
2010 Talente, IHM,Munich
2024 Delikatessen- Zwischen Kunst und Küche
snoek Verlag 2024
ISBN 13: 978-3864424540
2022 animal fiction
Sarah Dorkenwald/Isabelle Enders
2017 1:1 Isabelle Enders
essays by Prof. Dr. Florian Hufnagl, Benjamin Lignel und Dr. Harriet Zilch
design Kai Schmitzer, ISBN 9783000554322
2016 handWERK / traditional skills in the digital age
Verlag für moderne Kunst, ISBN 978-3-903131-83-5
Dannerstiftung und Deutscher Kunstverlag, ISBN 978-3-422-07279-4
2014 Kunst/Villa
Verlag für moderne Kunst, ISBN 978-3-86984-094-9
2010 The Poetry of the functional
Kunstverein Villa Arte, ISBN 978-3-00-032109_2